The date of expiration
Einen Abriss kann man beschreiben, aber nicht in Ordnung versetzen.
Das ist nicht Hertie, Wertheim oder der Palast der Republik.
Es sind Bilder die sich von der Repräsentation und der Dauer
dieser Motive entfernen und in sie eintauchen.
Zwischen den verharrenden monolitischen Strukturen der Stadt, ist
der Abriss eine Beschleunigung und Enthüllung des Ursprungs.
Was hat uns Ralf Scherrer in seinem Experimentalfilm' Und was Oh Mönche ist die Weisheit' (Samyuttanikaya 24 min) über die resignierte Weisheit gesagt ?
Wie würden sich unserem heutigen Zeitgeist entsprechend Ankor Wat in Kambotscha, Maccu Piccu in Peru und das Kaufhaus Wertheim in Berlin auf einem Bildträger für Ölfarben darstellen lassen ?
In welchem Maße haben die Politik des Kunstmarktes und Konservative auf Ralf Scherrers Gemälde über Bunker und Altersheime reagiert ?
(Auszug aus dem Katalogtext , Galerie Doris Berlin 2011, von Wolf Pehlke † 4.8.2013 )
Bewegung für den „homo clausus“
Zu den Bilderserien von Ralf Scherrer
Die Landschaft und entsprechende Bauwerke waren seit der
Renaissance das Andere des Menschen, d.h. das Abbild einer
auf den Betrachter bezogenen Fiktion. Indem der Realität
(d.h. der Naturbeherschung bzw -vernichtung) eine verkehrte
Welt gegenübergestellt wurde, stabilisierte die Landschafts-
darstellung die Indentität des Betrachters. Im Gegensatz dazu
wird bei Ralf Scherrer dieses 'Andere' aufgesplittert, in
Serien zerlegt. Als reines Formen-Spiel, als Spuren von
Vergangenem, verlieren seine Bilder ihre traditionelle Bedeutung
und das Dargestellte seine referentielle Position. Das Gebäude,
die Landschaft, die Ruine sind 'ohne Bezug', kein privilegiertes
Element, keine Substanz, die eine Illusion aufrechthält: Sie
sind lediglich ein figuratives Element unter anderen. Durch
die serielle Anordnung wird in erster Linie die repräsentative,
referentielle Funktion des gemalten Bildes zerstört.
Eine derartige 'Zerstörung' durch Fragmentisierung entspricht
den Wirkungen, die eine Ruine beim Betrachter hinterläßt.
„Die Ruine...ist die Vergegenständlichung der Differenz...
zwischen unserer Fähigkeit, Bruchstücke zu addieren und
dem schöpferischen Plan aus dem Nichts“ (Bazon Brock,Ästehtik
gegen erzwungenen Unmittelbarkeit,1986 Köln,S.186) Diese Differenz
bildet die Grundlage für die Wiederholung eines Bruchs bzw
einer Kluft, die zwischen Vergangenheit und Zukunft existiert,
die aber von den illusionären Symbolisierungen einer ewigen
Ordnung, die den schreckeneinflößenden Ablauf der Zeit negiert,
verdeckt werden.
Unterstüzt wird das Offenhalten dieser Differenz durch die
Gleichrangigkeit des Bildausschnitte: die Gesamtansicht ist
nicht wertvoller als das Detail oder die Teilansicht.
Abgelöst wird somit das Prinzip der Ähnlichkeit durch das Prinzip
der Gleichartigkeit: „Die Ähnlichkeit dient der Repräsentation,
welche über sie herrscht; die Gleichartigkeit dient der Wieder-
holung, welche durch sie hindurchläuft. Die Ähnlichkeit ordnet
sich dem Vorbild unter, das sie vergegenwärtigen und wieder-
erkennen lassen soll; die Gleichartigkeit läßt das Trugbild als
unbestimmten und umkehrbaren Bezug des Gleichartigen zum
Gleichartigen zirkulieren“ (Michel Foucault, Das ist keine Pfeife,
1974 München,S.40)
Auf diese Weise genügt jedes Bild der Serie sich selbst, steht
für sich und bleibt zugleich Teil des Ganzen. Zu den anderen
Bildern befindet sich jedes einzelne Bild der Serie in einer
Beziehung gegenseitiger, unbestimmter Ergänzung. Das Bild ist
nicht die Reproduktion eines Modells oder 'eine' Schöpfung,
sondern entspricht den Ereignissen der Natur, die nicht 'einem'
Zweck, sondern dem Zufall und der Notwendigkeit gehorchen.
In gewisser Hinsicht handelt es sich hierbei um eine 'Mimikry'
ans Schreckliche, weil eben natürliche Abläufe an die Tatsache
des Todes erinnern. Die Gleichartigkeit der Serie verweist nicht
auf etwas Anderes (Höheres,Ewiges,Transzendentes),sondern
eröffnet ein Spiel von Übertragungen, das auf nichts als sich selbst verweist.
Franz Littmann (Auszug Katalogtext Kriegfried, Kulturzentrum
Kammgarn,Schaffhausen/Schweiz 1993)
„Ich und die Energie, eine persönliche Angelegenheit.“
Ralf Scherrer verfolgt mit den Gruppen von Gemälden, die
jeweils in sich inhaltlich und formal eine Einheit bilden,
einen durchaus komplexen, vielschichtigen Weg. Dieser
schließt mit Bezug auf das 'klassische' Medium Malerei,
die Frage nach dem Charakter und der Qualität von
Wirklichkeit ein, die er in seinen Bildern thematisiert.
Es sind zwei Grundgegebenheiten festzustellen: Ralf
Scherrer arbeitet in Serien, nicht auf das einzelne Bild
bezogen, sondern auf die Vielgestaltigkeit, die in einem Thema
angelegt ist. Und, zum anderen, er modifiziert, akzentuiert
oder verändert seinen Malstil, d.h. die Struktur des Farb-
auftrages und die Textur der Malerei, je nach Thematik,
mit der er sich beschäftigt, die sie ihm nahelegt oder besser
abverlangt. Hiervon bleibt seine eher distanzierte Wirklich -
keitsanschaung und ihre bildnerischer Umsetzung unbe -
rührt, wird vielmehr zu einem wesentlichen Spannungs -
moment seiner Malerei. Ralf Scherrer entwickelt zu dem
'klassischen', ganzheitlichen Bildbegriff, äußerlich gesehen,
eine durchaus zeitgemäße formale Alternative: einen
Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ohne
darum Malerei aufgeben zu wollen. Er löst die traditionelle
Einheit des Bildes nicht in 9 gleiche Teile, sondern in ebenso
viele unterschiedliche inhaltliche Aspekte desselben Thematik
auf. Einheitlich im Format und Charakter der Malerei wird die
Eigenständigkeit verschiedener inhaltlicher Einzeldarstellungen
erhalten, steht jedes Bild für sich und bleibt zugleich Teil eines
Ganzen. Methodisch definiert er das Bild als Bild und als Thema
über Malerei in einem ambivalenten Sinn. Es ist autonomes
Bild und Code zugleich, es beansprucht die Wertigkeit des
'klassischen' Tafelbildes und entzieht sich doch zugleich
dieser Kategorisierung, um in die übergeordnete Ebene einer
Idee und Thematik von Malerei zurückzutreten.(Nicht das
Bauwerk wird dekonstruiert, sondern das Motiv der Malerei
als homogenes Ordnungsprinzip. Anmerkung R.Scherrer)
Hiermit relativiert er den Anspruch an die Tradition des Originals
als ein in sich geschlossenen, ganzheitlichen Bildkörper
und Zeichensystem. Dennoch läßt er die Bedeutung des
Einzelbildes als Informationsträger gelten, ja bestätigt sie in einem
anderen Sinn: das Bild von Wirklichkeit, die subjektive
Wahrnehmung besteht nicht aus einer, sondern aus der Summe
von ganz verschiedenen Informationen, die ein Gesamtbild als
Idee und Bewußtsein jener Wirklichkeit hervorrufen. Hieraus
erwächst ein komplexer künstlerischer Dialog zwischen
Einzelbild und Serie, vielgestaltigem Inhalt und Wirkichkeits-
referenzen, malerischer Textur, Idee und Bedeutung
von Malerei.
Andreas Vowinckel, Badischer Kunstverein (Auszug Katalogtext
Kriegfried ,Marburger Universitätsmuseum Band 4 1988)